Freitag, 22. Dezember 2017

Brot

 Brötchen starren mich gelegentlich an, feindselig, und ich empfinde vor ihnen Scham.
Als Kind habe ich die Stelle gefürchtet, an der Marie im Frau-Holle-Land an den schreienden Broten vorbeikam: Hol uns raus! Ihr Leben und das der Brote entschied sich in diesem Moment. Es geht gar nicht um Glück und Pech, es geht um Hören und Nichthören, das bedrängte mich schon als Kind.
Mein Vater arbeitete in einer Brotfabrik, wenn er abends nach Hause kam,
 erfüllte ein eigentümlich säuerlich-fruchtiger Geruch das Haus,
und wir fütterten die Schweine mit Brotresten. Brot umgab mein Leben,
mit Brot wuchs ich auf, lebte vom Brot in jeder Hinsicht. Als Schüler arbeitete ich in der
Brotfabrik, 10 Jahre lang, in den Ferien. 100 Tonnen Brot am Tag, riesige Teigknetmaschinen,
der Lärm der Mühle, dass Surren der Brotschneidemaschinen, das klackende
Ballett der Verpackungsmaschinen, der Geruch, unbeschreiblich. Riesige
Backöfen, 20 Meter lange, glühendheiße Bänder, auf denen meterlange Formen
mit Brot langsam Richtung Öffnung schlichen, die flirrende Luft umgab sie wie Wasser. Eines Tages
fiel in einem Ofen der Motor aus. Panisch und hektisch, als ginge es um Leben, rannten
die Ofenführer mit langen Kurbeln und versuchten ächzend und stöhnend zu retten, was zu retten
war. Ich aber stand wie festgenagelt und hörte aus den Öfen den tausendfachengequälten Schrei
der Brote: Holt uns raus! Noch heute träume ich davon, es ist ein wiederkehrender Alptraum. Frau Holle, Hölle und Ausschwitz, massenhafter Tod, das sterbende Weizenkorn, die Hostie, Brot.