Freitag, 16. Juni 2017

Genussneid

Sie stehen vor den Bildern
und ich sehe an ihren Augen,
dass sie etwas sehen, was ich nicht sehe,
einen Genuß, den ich nicht kenne,
ein Begehren, das ich begehre.

Sie sitzen neben mir im Konzert
und ich höre an ihrem Atem
dass sie etwas hören, was ich nicht höre,
einen Klang, den ich nicht kenne,
ein Sehnen, nach dem ich mich sehne.

Sie versinken still in einm Buch
und ich bemerke an ihren Schultern
dass sie etwas erleben, was ich nicht erlebe
einen Sinn, den ich nicht kenne,
eine Lust, nach der mich gelüstet.

Sie geben sich hin im Gebet
und ich ahne an ihrer Ruhe
dass sie etwas spüren, was ich nicht spüre
einen Hauch, den ich nicht kenne,
eine Tiefe, in die ich gern fiele.

Die Flammen dieses Neides
schlagen hoch unter dem Siedetopf des Hasses.
Und es fällt schwer, nicht Verächtliches zu denken
oder gar nach der Waffe zu greifen.

Denn der Mensch
lebt nicht vom Brot allein.
Wenn er nur Brot hat
wird er zum Mörder.